Judentum Artem Gurvich

Jeder hat seinen Weg
Ich bin in Moskau aufgewachsen, habe dort Medizin studiert und bin dann zur Promotion zum Max-Planck-Institut nach Göttingen gekommen. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich in so einer kleinen Stadt so gut fühlen würde. Ich hoffe, dass ich nächstes Jahr einen deutschen Pass erhalte. Ich habe sehr viel Respekt für Deutschland entwickelt.


Mein Vater ist Jude und meine Mutter ist Nichtjüdin. Meine Familie ist nicht religiös. Alles was ich in der Religion entwickelt habe, das habe ich mit der Unterstützung meiner Eltern gemacht. Hier in Göttingen habe ich den Giur, den Übertritt gemacht. Das war für mich eine Bestätigung meines Judentums. Da habe ich meinen Vater und meine Mutter mitgenommen.


Ich esse kein Schweinefleisch, und ich trenne Milchiges und Fleischiges. Wenn ich mit Kollegen essen gehe, dann sage ich das gleich. Die Leute fragen dann sowieso. Im Alltag trage ich keine Kippa, nur beim Beten, zu Hause oder in der Synagoge.
Ich habe einen inneren Drang zu lernen und ich bin immer noch auf der Suche. Ich lese viel zum Thema Judentum, höre Vorlesungen und lerne ständig etwas Neues beim Rabbiner. Besonders interessiert mich Halacha, das Religionsgesetz. Durch das Beten habe ich eine neue Ebene für mich selbst und meinen Glauben entdeckt.

Ich sage immer: »Ich bin Jude«, das möchte ich nicht verbergen. Böse war es an der Universität. Ein paar Leute haben mich angesprochen: »Was hast du gesagt, du Scheissjude?«. Das war richtig schlimm, aber nicht so schlimm wie bei meinem Vater, der wegen der Judenquote in der Sowjetunion nicht an der Uni studieren konnte.

Ich versuche immer, eine Brücke zu finden. Es ist wie mit einem großen Tisch, wo jeder seinen Beitrag einbringt. Sei es Judentum, Christentum, Islam oder andere Religionen. Wir können uns gemeinsam an einen Tisch setzen. Jeder hat seinen Weg, aber da können wir sitzen und gemeinsam überlegen, wie wir voneinander lernen und wie wir das Ganze weiterbringen können.

Ich lese gerne Bücher zum Dialog von Christentum und Judentum. Aber da darf man die Sachen nicht vermischen, das ist ein ›No Go‹ für mich. Jeder hat seinen Weg, der gut ist.
Ich wünsche mir mehr Rituale in meinem Alltag, so dass mein Leben dadurch reicher wird, und noch mehr Tiefe im Glauben und Beten.

Ich spiele gerne Klavier, Gitarre und ein bisschen Akkordeon, und ich habe hier einen russischen Oldtimer, den ich restauriere.

Ich habe sehr viele Freunde, hauptsächlich Christen, sowohl evangelische wie katholische und auch Atheisten oder Agnostiker. Ich habe leider wenig Kontakt mit dem Islam, in der letzten Zeit habe ich einige Jesiden kennengelernt.
